erschienen in der WLZ am 13.05.2014
Das Dorf bereitet sich auf das Fest vor – das Annenfest, von dem keiner mehr weiss, was und warum eigentlich gefeiert wird. Es ist aber Tradition im Dorf, und daher bereiten sich alle vor. Wichtigste Frage: wer sitzt an den Tischen direkt am Scheiterhaufen?
Eigenartige Dinge passieren vor dem Fest: dem Glöckner werden seine Glocken gestohlen.
Wie soll er dann das Fest einläuten? – und in das Haus der Geschichte wurde eingebrochen. Es fehlt aber nichts. Fast scheint es, als hätten sich die Mythen aus vergangener Zeit befreit, um sich vor dem Fest wieder einmal bemerkbar zu machen. Da ist zum Beispiel die Geschichte von den beiden Wegelagerern, die auf wundersame Weise vom brennenden Scheiterhaufen freikamen – niemand weiss wie, nur ein Fuchs mit brennendem Scheit im Maul wurde gesichtet. So geschehen im Jahr 1599.
Der Höhepunkt des Festes ist die Auktion. Dafür malt die Malerin des Dorfes ein neues Bild : das Dorf in der Nacht. Sie steigt mit Gummistiefeln, Staffelei und Regenmantel in den See – von dort aus sieht man das Dorf am besten, meint sie. Frau Kranz ist ein Original.
Sie malt das Dorf, schon ihr ganzes Leben lang.
Und wie kam es, dass der Fährmann ertrank? Wer setzt nun das Dorf über auf die Inseln im See ? Nun fehlt allen der Fährmann; der Bus fährt schon seit letztem Jahr nicht mehr.
Und auch die Tankstelle hat dicht gemacht. Jetzt muss man ins nächste Dorf zum Tanken fahren. Aber Ulli hat in seiner Garage einen Ausschank eröffnet. Mit Bier und Fernsehen. Immerhin. Es geht also doch weiter im Dorf. Wer bei zuviel Ulli trinkt, kriegt es mit Lada zu tun, der so heisst, weil er als Dreizehnjähriger mal mit dem Lada seines Opas nach Dänemark gefahren ist. Lada regelt so manches im Dorf.
Nein, das ist kein Roman, auch wenn er so bezeichnet wird. Es sind überraschende, skurrile,
und komische Episoden eines Dorfes, das seit Jahrhunderten da ist. Es gelingt dem Autor, den Leser hineinzuziehen in dieses märchenhafte Kaleidoskop, vor allem durch seine Sprache, die reiche Register hat, wundersame Wortschöpfungen und Wendungen – und warum schreibt er Tunfisch ohne „h“?
Saša Stanišić., der als Vierzehnjähriger mit seinen Eltern aus Bosnien nach Deutschland kam, wollte eigentlich ein Dorf in Bosnien beschreiben. Aber dann stellte er fest: ein ähnliches Dorf gibt es auch in der Uckermark. Ein Dorf voller Geschichten und Vergangenheit, wenig Gegenwart und kaum Zukunft. Dennoch – das Dorf macht weiter, träumt, trinkt, angelt und erwacht auch diesen Morgen wieder „Kaffeemaschine für Kaffeemaschine“. Dann beginnt das Fest.
Saša Stanišić schreibt auf Deutsch und hatte bereits internationalen Erfolg mit seinem ersten Roman. Dieses ist sein zweiter: ein überzeugender Preisträger des diesjährigen Leipziger Buchpreises.
Sabine Belz
Förderverein Christine-Brückner-Bücherei Bad Arolsen
Saša Stanišić.Vor dem Fest
Roman, 320 S., Luchterhand Literaturverlag, 2013, € 19,99