erschienen in der WLZ am 12.08.2014
« Sowas liest Du? » war zu Anfang die Reaktion, als dieses Buch bei uns zu Haus auftauchte. Inzwischen hat « Darm mit Charme » seinen erfolgreichen Weg durch die Medien und als Bestseller in wenigen Wochen erreicht. Nahezu jeder hat von diesem Titel gehört, die Autorin klug,nett und amüsant in Talkshows gesehen. Mehr als eine halbe Million Exemplare wurden bisher verkauft und die Rechte von vielen Ländern zur Übersetzung erworben, Guilia Enders, geboren 1990, Medizinstudentin und Doktorandin, begeistert sich für die Erforschung des Darms und bricht dabei offensichtlich ein Tabu – denn über den Darm und seine Funktionen spricht man eigentlich nicht; viele Zusammenhänge sind noch nicht erforscht.
Die 24jährige Wisenschaftlerin macht uns klar, dass der Darm keineswegs nur das Organ zum Ausscheiden ist, sondern viele wesentliche Funktionen des Körpers beeinflusst, gar steuert. Vor allem spielt er eine zentrale Rolle für das Immunsystem; zwei Drittel davon « trainiert » der Darm. Ausserdem liefert er 20 wichtige Hormone, verfügt über ein aussergewöhnliches Nervensystem und ähnelt damit als einziges Organ dem Gehirn. Leicht nachvollziehbar, dass Darm und Gehirn eng miteinander verbunden sind und aufeinander reagieren. Stresshormone des Gehirns wirken sich im Darm nahezu wie eine Vergiftung aus, entsprechend reagiert er. Und er wirkt zurück: geht es ihm gut, signalisiert er dem Gehirn Wohlbefinden.
Enders’ Forschungsarbeit richtet sich auf dieses wenig bekannte Feld: den Zusammenhang zwischen Hirn und Darm und damit den Zusammenhang zwischen richtiger Ernährung und Wohlbefinden.
Auf rund 270 Seiten spricht sie über den Aufbau des Darms, sein Nervensystem, über alles, was mit dem Essen zusammenhängt, warum Zucker so praktisch für den Energiegewinn ist und warum zuviel nicht guttut – und schliesslich das komplexe Innenleben des Darms: der Mensch als « Ökosystem ».
Das bisher erfolgreichste Sachbuch des Jahres will keineswegs belehren oder gute Tipps geben. Guilia Enders schreibt aus ihrer Begeisterung des Erkenntnisgewinns heraus spannend, witzig und frei von Vorbehalten. Wie heikel das Thema ist, zeigt sich bei ihren science-slam-Auftritten (1.Preis in Berlin 2012); fallen Begriffe wie « Pupsen » oder « Kacken » kichert das Publikum verlegen. Diese Scham dem Darm gegenüber nimmt Guilia Enders durch ihre freimütige Erzählweise; die orgininellen Illustrationen ihrer Schwester Jill verstärken das Spielerische daran.
„Zur Medizin hat mich meine Neurodermitis gebracht“, erzählt die in Mannheim geborene angehende Ärztin. Die Texte, die sie als Schülerin über ihre Krankheit studierte, hätten sie derart fasziniert, dass sie immer mehr erfahren wollte und immer mehr las. Derzeit forscht Giulia Enders für ihre Dissertation am Institut für Mikrobiologie der Goethe-Universität.
Gastroenterologin will sie werden, irgendwann mit eigener Praxis. Und sie hofft, dass man in absehbarer Zeit den positiven Einfluss spezieller probiotischer Bakterien auf das Wohlbefinden des Menschen erforscht haben wird.
Sabine Belz
Darm mit Charme
Alles über ein unterschätztes Organ
Guilia Enders. 285 S.,Ullstein Verlag 2014, 16,99€