erschienen in der WLZ am 14.11.2014
Zu seinem 70. Geburtstag (am 2.Dezember) schenkt Botho Strauss seinen Lesern ein aussergewöhnliches Buch. Der Autor, der nie explizit autobiografisch schreiben wollte, tut es nun doch. Botho Strauss erzählt seine Jugend in Bad Ems anhand der Erinnerung an seinen Vater und geht damit der Frage nach « Woher komme ich ? ».
Irgendwann erlebt jeder einmal diese Situation: der elterliche Haushalt wird aufgelöst. Man nimmt Gegenstände der Kindheit oder Jugend wieder in die Hand, die das Gedächtnis wachrufen und bis in die Gegenwart sprechen.
Mit 10 Jahren zieht Botho Strauss mit seinen Eltern von Naumburg an der Saale nach Bad Ems. Der Vater, promovierter Chemiker und Teilhaber einer pharmazeutischen Firma, wurde dort enteignet. In Bad Ems versucht der 60-Jährige einen beruflichen Neuanfang, der ihm als freiberuflicher Pharmazeut und Gutachter nicht mehr gelingen will. Botho Strauss sieht den Vater jeden Morgen akkurat gekleidet sein Büro zuhause einnehmen und dort Tag für Tag, nur durch die Mahlzeiten unterbrochen, in sorgfältiger Handschrift und Formulierung neue Präparate beurteilen oder selbst Arzneien entwickeln. Dem Misserfolg setzt der Vater Disziplin entgegen. Dazu gehört das morgendliche Ankleidungsritual, die stets akkurate Kleidung bis hin zur Krawattennadel, die dem Sohn peinlich ist. Erst jetzt bei der Wiederbegegnung am nun leeren Schreibtisch versteht der Sohn, inzwischen selbst ins « Alter des Vaters » eingetreten, welch heroische Selbstbehauptung diesen Ritualen zugrunde liegt.
Hat die gebeugte Schreibhaltung des Vaters den Schriftsteller früh geprägt? Seine wissenschaftlichen und satirisch-politischen Schriften lehnte der Sohn ab, auch die selbsthergestellte Monatsschrift « Der Kompass ». Dabei bewunderte der Vater Thomas Mann – den frühen monarchistischen – und eiferte ihm durchaus nach. Aufschlussreiche Briefe an die « schöne Mama », die der Sohn nun 50 Jahre später in der Hand hält: « Man altert immer noch geradewegs in das hinein, was man als rettungslos veraltet empfand. »
Von Bad Ems aus ging es zum ersten Mal ins Kino, zu Konzerten und in die umliegenden Stadttheater. In den Bad Emser « Kursaallichtspielen », einem kleinen Offenbachtheater, erinnert sich Botho Strauss an seinen ersten und einzigen öffentlichen Auftritt – die Abschlussrede bei der Abiturfeier. Manches erscheint im Rückblick im milden Licht der Verklärung; nicht aber die eigene Person, schon in der Rolle des Einzelgängers, des zumeist Abseitsstehenden, der genau beobachtet. Damals begann die Leidenschaft fürs Theater, auch dank des Fernsehers, den der Vater auf Drängen des Sohns anschaffte. Das Programm lief noch mit Bildungsauftrag, jeden Donnerstag Inszenierungen klassischer und moderner Stücke, die bei Botho Strauss einen inneren Fundus schufen.
Mit Nostalgie hat das nichts zu tun. « Herkunft » bietet einen erstaunlich schonungslosen Blick auf sich selbst, auf das eigene Leben und die eigene Kunst – auf das Erbteil, das in ihm steckt als Sohn des ernsten, vom Schicksal nicht begünstigten Vaters. Es ist das Eingeständnis, dass das alles ihn stärker prägt, als er wahrhaben wollte.
Hier begegnet uns ein sanfter, milder Botho Strauss. Es ist seine Einverständniserklärung mit dem Schicksal und seine späte Liebeserklärung an die Eltern.
Wer diesen bedeutenden deutschen Autor noch nicht kennt, kann mit « Herkunft » gut zu ihm aufbrechen.
Botho Strauss: Herkunft.
Hanser Verlag, München 2014.
96 Seiten, 14,90 €