erschienen in der WLZ am 21.04.2015
Zum ersten Mal in seiner Geschichte wurde der Preis der Leipziger Buchmesse an einen Lyriker verliehen und damit wurde ein scheinbar aus der Mode gekommenes Genre ausgezeichnet. Ist die Poesie zurück als literarisches Schwergewicht?
Die Verleihung des Preises an Jan Wagner für seinen Lyrikband « Regentonnenvariationen » ist jedoch weniger eine Sensation, als man zunächst vermuten mag. Jan Wagner ist seit vielen Jahren ein bekannter und erfolgreicher Vertreter der Lyrik.
Der 1971 in Hamburg geborene Dichter hat seit seinen ersten Veröffentlichungen ab 1999 Jahr für Jahr Preise und Stipendien erhalten, darunter den Hölderlin-Preis, den Kranichsteiner Literatur-Preis und die Stipendien für die Villa Massimo und die Villa Aurora – insgesamt 30 an der Zahl. Er hat seine Stimme nachdrücklich zu Gehör gebracht, so dass die Verleihung des diesjährigen Buchpreises an ihn niemanden in der Literatur-Welt vollkommen überrraschte. Dennoch: es ist das erst Mal, dass die Jury für einen Lyriker entschied. Und das ist dann doch etwas Besonderes, ein kleines Erdbeben! Lyrik, so eine Literaturkritikerin, sei im Grunde in der heutigen Welt der verkürzten SMS-Mitteilungen eine sehr zeitgemässe, weil kondensierte Form der Literatur.
Das trifft sehr auf die Gedichte Jan Wagners zu. Er hält sich an seine unmittelbare Umwelt: die Regentonne steht im Garten, von da aus schweift sein Blick. Er lebt in und mit der Natur, bedichtet den Giersch, dieses gierige Garten-Gewächs, den Olm, den Otter ebenso wie drei Esel auf Sizilien. Sogar das Weidenkätzchen, das sich Tante Mia als Kind in das Nasenloch steckte mit unschönen Folgen gehören zur spielerischen Naturerfahrung. Aber man täusche sich nicht: es sind keine eindimensionalen, irgendwie ökologisch beeinflussten Naturgedichte eines reinen Nachfahren der Romantik.
Wagner spielt mit Licht, Gerüchen, Erinnerung, Fabeln und Musik; diese vermischen sich und beschwören Bilder herauf. Wer fühlte sich nicht angesprochen von dem Gedicht « die etüden », das seine « teppichdumpfen mittwochnachmittage » mit Klavierunterricht – « das schwarzlackierte Ungetüm » – in ihrer Aussichtlosigkeit beschreibt. Feine Ironie ist ihm eigen, ja, ein humorvolles Staunen breitet er über die Wunder des Alltags, die unglaublichen Geschichten und Träume angesichts nordischer Nächte oder einer imaginierten Jagd auf Kaimane. Dösende Koala-Bären erscheinen ihm als « eine boheme aus trägheit », die « versinkt in einem Traum aus Eukalyptus ». Oder die schwelgerische Erinnerung an Venedig und seinen Maler Canaletto, dessen Grab unauffindbar ist, als ob es ihn nie gegeben hätte, « wäre da nicht vor allem Wasser, und vor allem Licht ».
Wagner behandelt seine sujets gleichwertig mit Sorgfalt und Aufmerksamkeit. Dabei bleibt seine Sprache ungekünstelt, uneitel, fast bescheiden, was ihn von so manchem heutigen Dichter-Kollegen erfreulich abhebt und seine Kennerschaft als Literat belegt. Rhythmus und manchmal Reim zeigen den bewussten Sprach-Handwerker, der in der Tradition der Dichtung zuhause ist, sie liebt, fortführt und zweckfrei nutzt. Jan Wagners Lyrik ist nicht politisch, nicht gesellschaftskritisch, nicht links, nicht rechts – sie will nichts mehr als gute Lyrik sein. Dass dafür heute ein bedeutender Literaturpreis verliehen wird, ist auch ein Signal für eine neue heutige Literatur.
Sabine Belz
Jan Wagner. Regentonnenvariationen
97 S., Hanser Verlag 2015, € 15,90