erschienen in der WLZ am 14.07.2015
Wir kennen Wolfgang Büscher durch seine langen Wanderungen von Berlin nach Moskau (Berlin – Moskau) oder von Nord nach Süd durch die Vereinigten Staaten von Amerika (Hartland), niedergelegt in überaus erfolgreichen Büchern, für die er bedeutende Literaturpreise erhielt. Als der Autor im November 2013 in Bad Arolsen aus seinem Buch « Hartland » las, deutete er ein kommendes Projekt an im darauffolgenden Frühling.
Das Buch dieser erneuten Erkundung liegt nun vor: Ein Frühling in Jerusalem.
Büscher hat diesmal nicht Tausende von Kilometern zu Fuss zurückgelegt. Vielmehr gräbt er sich behutsam durch die historischen Schichten der Stadt Jerusalem, Tag für Tag, zwei Monate lang bei seinem Aufenthalt in der alten Stadt, dem Ursprungsort des Christentums.
Büscher beginnt im arabischen Viertel der Stadt, wohnt zunächst in einem kleinen Hotel am Jaffa-Tor, später dann in einem griechischen Konvent der Kreuzritterstadt. Tag für Tag durchstreift er die Stadt, beobachtet, nimmt in sich auf, trifft sich zu Gesprächen mit Einwohnern, wie dem mehrsprachigen armenischen Charly, letzter Spross einer in Jerusalem seit mehreren Generationen ansässigen Familie. Dieser zeigt ihm Stück für Stück « sein » Jerusalem » , in dem er selbst zu den wenigen verbliebenen Christen zählt. Denn in dieser multireligiösen Stadt verschieben sich allmählich die Gewichte, der Anteil der Christen wird immer geringer.
Aber freitags mischen sich die Religionen, pilgern die Christen auf der Via Dolorosa, eilen die Juden zur Klagemauer und die Moslems auf den Tempelberg: tief verschleierte Frauen, westlich gekleidete junge Männer, orthodoxe Juden, Araber in beduinischen Mänteln strömen aus ihren Viertel zum Gebet. Der Leser versteht die starke spirituelle Kraft, die bis heute von Jerusalem ausgeht.
Der Ursprung des Christentums verbindet sich mit der Grabeskirche, die tagtäglich von Touristen und Gläubigen besucht wird. Büscher lässt sich eine Nacht in ihr einschliessen,
um ohne den Tages-Trubel diesen Ort in seiner tiefen Bedeutung zu « verstehen ». In einem Interview beschreibt er dies so :
« ..Da kommt jemand abends um sieben, steigt auf sein Leiterchen, holt einen Riesenschlüssel, steckt den in das uralte Schloss und schließt von außen zu, und morgens um sieben kommt er wieder und schließt auf. Dazwischen ist Schluss: Es kommt keiner raus, keiner rein. Es wird dann ganz still. »
Aber als deutscher Schriftsteller schlägt ihm nicht nur wohlwollende Neugier entgegen. Ein Vertreter der jüdischen Siedlerbewegung verweigert ihm ein Treffen und entgegnet auf sein Gesprächsinteresse so: Worüber wollen Sie mit mir reden? Ich sage Ihnen, worüber wir reden, wir reden über meine Berliner Grossmutter ! »
Anhand von sorgfältig zusammengetragenen Lebensgeschichten entsteht ein vielschichtiger Einblick in die seit 2000 Jahren unentwirrbar miteinander verknüpften Machtverhältnisse um den Tempelberg, für Christen, Juden und Moslems gleichsam von hoch aufgeladener religiöser Bedeutung. Bis heute ist der Tempelberg der Nucleus des Konflikts zwischen Juden und Moslems, ein brisanter und vitaler Konflikt, wie dieses Buch deutlich zeigt.
« Einen so hochkonzentrierten Ort voller Geschichte, voller Religion und auch voller Geschichten findet man selten sonst auf der Erde ».
Wolfgang Büscher: Ein Frühling in Jerusalem.
Rowohlt Berlin 2014, 240 S., 19,95 €
Sabine Belz
Förderverein Christine-Brückner-Bücherei
Bad Arolsen