Buchtipp – Das Ideal der Einfachheit

erschienen in der WLZ am 14.01.14

Blick auf neue Bücher, heute vom Förderverein der Christine-Brückner-Bücherei Bad Arolsen.

Im November vergangenen Jahres wäre Albert Camus, der französische Schriftsteller und Nobelpreisträger, 100 Jahre alt geworden. Verlage, Magazine und Autoren nutzen dieses Jubiläum zu einer erneuten Auseinandersetzung und Würdigung. Iris Radisch, Literaturkritikerin der Zeit, Romanistin und profunde Kennerin von Camus’ Werk, bietet eine hervorragend recherchierte geradezu liebevoll verfasste Biografie dieses wirkungsmächtigen Dichters, heute der am meisten gelesene, gekaufte und übersetzte Autor Frankreichs.

In zehn Kapiteln, die sich an die Schlüsselbegriffe Camus’ halten – die Welt, der Schmerz, die Erde, die Mutter, die Menschen, die Wüste, die Ehre, das Elend, der Sommer, das Meer erzählt Radisch dieses kurze, intensive Leben, das 1913 in einem Armenviertel in Algier begann, in der Verleihung des Nobelpreises für Literatur 1957 gipfelte und wenige Jahre später (1960) sein Ende bei einem Autounfall in Südfrankreich fand: ein Leben voller Gegensätze und Extreme.

Als 17-jähriger Schüler erfährt Camus von seiner Lungenkrankheit, die ihm später die Aufnahme in den Schuldienst und ins französische Militär verstellt; er weiß nun, dass sein Leben kurz sein wird. Er liest, schreibt, lebt mit aller Kraft gegen die Todesangst an. Die sorglosen Tage der Jugend am Meer, zwar in Armut, aber voller Sonne, Licht und Versprechen wird er in seinem „Ideal der Einfachheit“ besingen und daraus das „mittelmeerische Denken“ entwickeln. Dahinter verbirgt sich eine grundsätzliche Zivilisationskritik an der industrialisierten Welt des 20. Jahrhunderts und ihren totalitären Ideologien, sei es Faschismus oder Kommunismus.

Hier, so Radisch, sei Camus besonders visionär gewesen und von unverminderter Aktualität. Die intellektuelle Pariser Linke wird ihn wegen seiner Kommunismus-Kritik ausgrenzen und Sartre selbst wird Camus für sein Buch „Der Mensch in der Revolte“ als „schlechten Denker“ abqualifizieren – eine Kritik, die bis heute von der sogenannten französischen Linken bemüht wird. Camus plädiert in diesem Text für ein Leben in Einfachheit, Bescheidenheit und im Einklang mit der Natur. Er konturiert den Konflikt zwischen dem effizienten, durchorganisierten Norden Europas im Gegensatz zum lebensfrohen Süden – eine Gegenüberstellung, die auch in heutigen Europa-Debatten immer wieder auftaucht. Camus fordert dazu auf, sich für dieses „Ideal der Einfachheit“ zu engagieren, dafür zu kämpfen. Der Mensch solle frei, souverän und ohne Angst leben. In seinen letzten Lebensjahren erkennt Camus allerdings, dass auch sein Leben zu oft diese Maxime aus dem Blick verloren hat.

Camus’ Werk umfasst rund zwei Dutzend Theaterstücke, Erzählungen und Romane, beginnend mit „Der letzte Mensch“; sein letztes Manuskript-Fragment lautete „Der erste Mensch“. Wer diesen großen Autor und Intellektuellen des 20. Jahrhunderts entdecken oder wiederentdecken möchte, dem wird dieses großartige Buch von Iris Radisch das Universum Camus’ als großes Lesevergnügen öffnen.

Iris Radisch. Das Ideal der Einfachheit. Eine Biografie. Rowohlt, 352 S., 19,95 Euro.

 

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