erschienen in der WLZ am 10.02.2015
Seit seinem Roman « Elementarteilchen », der in Deutschland sogar verfilmt wurde, gilt Michel Houellebecq als das enfant terrible der französischen Gegenwartsliteratur. Anfang Januar erschien sein neuer Roman »Soumission », in deutscher Übersetzung « Unterwerfung », der in Frankreich und Deutschland mit ganz unterschiedlichen Reaktionen aufgenommen wurde.Der Roman entwickelt ein Zukunfts-Panorama für Frankreich im Jahre 2022, also in nicht allzuweiter Ferne, aus dem Blickwinkel der Hauptfigur, dem Pariser Literaturprofessor François, dem autobiographische Züge nachgesagt werden. Dieser lehrt an der Pariser Universität Sorbonne III Literaturwissenschaft des 19. Jahrhunderts, sein Spezialgebiet seit Studienbeginn, und hat sich dort mit erreichter Universitätskarriere und wechselnden Liebschaften mit Studentinnen bequem – vielleicht zu bequem ? – eingerichtet. Die Karrierediskussionen seiner Kollegen und die sich abzeichenden Veränderungen innerhalb der Universität interessieren ihn wenig, auch nicht Gerüchte über Angriffe auf Dozenten an anderen Universitäten, ausgehend von einer Bewegung junger Salafisten. Immerhin fällt ihm auf, dass der Verband jüdischer Studenten nicht mehr auf dem Campus zu sehen ist, stattdessen aber der Jugendverband der Bruderschaft der Muslime überall vertreten. Eines Tages sitzen zum ersten Mal zwei Studentinnen in Burka in seiner Vorlesung, deren irgendwie bedrohliche Begleitung auf dem Flur patroulliert. Warum war er beunruhigt ? fragt er sich.
In Frankreich ist Wahlkampf. Hier greift Houellebecq auf bekanntes Polit-Personal zurück und mischt verwirrend Realität in seine Fiktion. Es geht um die Wieder- oder Abwahl des amtierenden Präsidenten François Hollande. Eine neue Partei hat sich installiert, die « Bruderschaft der Muslime », die mit dem gemässigten Muslim Mohammed Ben Abbès in die Stichwahl gegen Marine Le Pen gewählt wird – und gewinnt. Mit den Stimmen der Linken, die um jeden Preis den Sieg des Front National verhindern wollten, hat Frankreich plötzlich seinen ersten muslimischen Präsidenten mit dem altbekannten Politiker François Bayrou als Premierminister. Alles Fiktion, aber Houellebecq schildert dies mit einer Glaubwürdigkeit, dass einem der Atem stockt. Frankreich islamisiert sich nun von innen; auch die von Saudi-Arabien finanzierte Universität Sorbonne wird umstrukturiert und François in den Ruhestand geschickt. Allerdings nur zunächst. In einem brilliant-satirischen Dialog mit dem von der Bruderschaft eingesetzen Rektor entwickelt dieser ihm die verlockende Perspektive einer neuen Karriere bei geringfügiger inhaltlicher Anpassung im Lehrstoff mit mehr Gehalt und – dem hohen Gehalt angemessen – mehreren Ehefrauen, ganz wie es der Islam vorsieht. Er müsse lediglich zum Islam konvertieren.
Die Islamisierung Frankreichs geht ohne Gegenwehr der bisherigen Eliten vonstatten.
Macht- und Eigeninteressen bestimmen die widerstandslose Unterwerfung. Für die Rechte der Frauen erhebt sich keine Stimme in diesem Buch, das die Rückkehr zum Patriarchat als heimliche Sehnsucht der Männer entlarvt. Houellebecq hält seinen Zeitgenossen mit beissender Satire und tiefgründiger Komik schonungslos den Spiegel vor.
Nach dem islamistischen Attentat am 7. Januar auf das Pariser Satire-Magazin « Charlie Hebdo », bei dem 12 Menschen ermordet wurden, und der Geiselnahme in einem jüdischen Supermarkt in Paris zwei Tage später mit weiteren vier Toten, weicht die Komik der Tragik.
Houellebecq hat den ersten Zukunftsroman geschrieben, der schon während seines Erscheinens von grausamer Wirklichkeit überholt wird.
Michel Houellebecq. Unterwerfung. 272 S, 2015, Dumont Buchverlag, € 22,99