Rezension – Die Kunst des Lobens

Erschienen im Hallo, am 25.07.2018. Autor: H. Schaaf

Shitstorm und Beleidigungen, Hass und Verunglimpfungen scheinen Konjunktur zu haben und nähren das Geschäftsmodell der digitalen Kommunikation. Kaum noch etwas scheint es wert zu sein, gelobt zu werden. Zieht der Shitstorm weiter, bleiben Angeschlagenes und Zerstörtes und nagen am Kitt des gesellschaftlichen Miteinanders. Ergibt sich dann doch eine Chance, eine Person oder ein Werk zu ehren, fällt auf, wie schwer diese Kunst für den Lobenden sein kann.

Dabei ist die Lobrede wohl eine der wenigen Gelegenheiten, wo man heute bis zum Ende zuhört! Bei Hochzeiten, Geburtstagen, Trauerfeiern, bei Verabschiedungen, Jubiläen, Einweihungen, Gedenk-, Weihnachts- oder Abiturfeiern kann der Zuhörer nicht weg oder „offensichtlich“ auf dem Handy spielen. Also haben die Sprache und das Lob ihre Chance. „Doch nur jene Lobreden taugen etwas, die unter den Anwesenden ein Glücksgefühl des Begreifens und des Einfühlens verbreiten. Ohne diesen ansteckenden Enthusiasmus wird jede Feierstunde zum Ritual, das nichts als absehbare und langweilige Konvention verströmt.“

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Rezension – Nathan der Weise

Erschienen im Hallo, am 21.05.2018. Autor: H. Schaaf

Achtung: Hier wird ein Theaterstück, ein Lehrstück, vorgestellt, das zum Kulturgut dieses Landes gehört und leider es an Aktualität nichts verloren hat.

Schon der Titel: Nathan – der Weise – hört sich so alt und überkommen an, wie ein Drama aus Schulzeiten. Jetzt ist der Klassiker der Weltliteratur – mit Comics als Appetitanreger wieder neu aufgelegt worden. Es geht um 5 Fragen, die – egal in welcher Form, immer wieder gestellt werden. Eine davon ist, „Wie hältst du es mit der Religion“. Schon Gretchen wollte Heinrich in Faust verpflichten, „Stellung zu nehmen“, wie es heute heißt. Die Antwort ließ sie grausen.

Der Sultan von Jerusalem wollte gar vom Juden Nathan wissen, welche Religion er für die »wahre« halte. Darauf antworte er, den die Christenobrigkeit am liebsten „brennen“ sehen wollte, mit der „Ringparabel“.

Allein diese lohnt, die Geschichte – noch mal – oder überhaupt zu lesen, vielleicht auch nur zu „googlen“. In dieser Geschichte geht es um eine Familie, in deren Tradition ein besonderer Ring von Generation zu Generation an den liebsten Sohn weitervererbt wird. Ein Vater jedoch, der drei Söhne hat und alle gleichermaßen liebt, kann sich nicht entscheiden, an welchen der Söhne er den Ring vererbt. Weiterlesen

Rezension – Ewald Frie: Die Geschichte der Welt

Erschienen im Hallo, am 28.02.2018. Autor: H. Schaaf

Es gibt zwar nur eine Welt, aber viele Möglichkeiten, sie zu betrachten. Oft bleibt das eigene Weltbild geprägt von den Haus-Nachrichten und dem internet, möglicherweise noch auf der Basis eines sehr auf Europa ausgerichteten Schulwissens.

Daran ist im Prinzip nichts auszusetzen. Nun ist der Kopf aber rund, damit er die Perspektive wechseln kann. Damit kann auch eine scheinbar feststehende „Geschichte“ anders verstanden werden. Dazu hat der Tübinger Geschichtsprofessor E. Frie – bunt bebildert – eine „Geschichte der Welt“ in 20 Kapiteln „neu erzählt“. Von den Urmenschen bis zu den Vereinten Nationen unserer Tage spannt sich die Darstellung. Dabei erfahren wir, möglicherweise erstaunt, dass Australien schon 10 000 Jahre früher von Unseresgleichen bewohnt war als Europa. Dennoch von Europa ausgehend, nimmt uns Frie mit Kapitän James Cook auf eine Weltumseglung. Nach diesem – die Welt umfassenden Einstieg – rollt E. Frie einen „von allen Menschen gewebten kunterbunten Teppich“ gleichzeitig ablaufender Ereignisse vor uns aus. Dazu beleuchtet er in 18 Kapiteln einen Ort oder einer Region. Das Kapitel „Afrika“ thematisiert die Urgeschichte, „Babylon“ markiert den Übergang der Menschen zur Sesshaftigkeit vor rund 10 000 Jahren, die altorientalischen Reiche „Ganges“ lassen  die Großreiche des antiken Indien entdecken. Das „Moche-Tal“ im Norden Perus steht für die altamerikanischen Kulturen, die den Imperien der Azteken und Inka vorausgingen. Die Ankunft der Europäer war für die Ureinwohner in Amerika tödlicher als die Pest, die Folgen des Sklavenhandeln anhaltender als die „Spanische Grippe“.Zu  „Amerika“ lässt Frie das industrielle 19. Jahrhundert aufleben, in „Berlin“ entfalteten sich die Weltkriege und den Kalten Krieg, in „Kairo“ die Geschichte des Nahen Ostens bis zum „arabischen Frühling“. Wer dabei von einem Ort zum nächsten gelangt, wandert zugleich durch die Chronologie – mit Mut zur Lücke. Dabei erwartet den Leser keine nach allen Seiten abgerundete Darstellung. Dafür liefert er jede Menge Denkanstöße, die der Realität in einer miteinander verwobenen Welt näher kommen die „Standarderzählungen“ von den Griechen und Römer über die Zeit der Ritter, Kolumbus und Luther, der Französischen Revolution, sowie dem Ersten und Zweiten  Weltkrieg.

Frie hingegen hebt  – um im Bild zu bleiben –  den Teppich der Geschichte hier und da an, um an der Unterseite die „Verbindungen, losen Enden, Löcher und Risse“ genauer zu betrachten. So wird das Buch zu einer Fundgrube globalhistorischen Wissens, eine Einladung zum Schmökern und Entdecken.

Rezension – Und du kommst auch drin vor

Erschienen im Hallo am 29.11.2017, Autor: H. Schaaf 

„Als Frau Meier (die blasse Referendarin, die später mit „burn out“ aufgibt) sagte, dass wir heute zur Lesung gehen, haben alle gestöhnt. Ich habe große und kleine Ts in mein Hausaufgabenheft gemalt. Ob Lesung oder nicht, das war mir schnuppe. Für Donnerstag stand dort in der Tat reingekritzelt – LÄSUNG. Franz hat den Kopf auf den Tisch gelegt und geschnarcht. Nur Petrowna hat ihre Stimme erhoben. »Schnauze, ihr Idioten! Wollt ihr lieber Mathe? Petrowna schaffte es immer, alle mit einem Satz zu verwirren und dadurch für einen Moment der Stille zu sorgen.“

In diesem Stil geht es in diesem Jugendbuch, oder einem Buch, in dem man die Jugend – zumindest eine Teil der Jugend – kennenlernen kann, weiter. Protagonistinnen sind Kim, 15, ein bei der depressiven Mutter lebendes Scheidungskind, eher unauffällig, und Petrowna, die auf engsten Platz Teil einer Grossfamilie mit „Migrationshintergrund“ ausagiert: klug, exzentrisch und daran gewöhnt, immer und überall den Ton anzugeben, bis – halt bis eine Wende zwischen beiden Freundinnen eintritt – ausgelöst durch die Autorin des Buches und natürlich eine erste Liebe.

Und so zieht es Kim – und die Leser – in die Geschichte hinein, aus der sie sehr anders herauskommt als befürchtet. Dazwischen geschieht schier Unglaubliches aus dem Teenageralltag in unterschiedlichen Erzählebenen voller schräger und witziger Dialoge und Figuren, was mit einem Sprachwitz verbunden ist, der wohl aus einem zweisprachigen Denken geboren sein wird.

Alina Bronsky wurde 1978 in Jekaterinburg, Russland geboren und lebt seit ihrer Kindheit in Deutschland. Schon ihr Debütroman „Scherbenpark“ wurde auf Anhieb zu einem Bestseller, es folgten „die besten Gerichte der tatarischen Küche“, „Nenn mich einfach Superheld“ und „Baba Dunjas letzte Liebe“. Alina Bronsky lebt mit ihrer Familie in Berlin.

Rezension – Abenteuer Freiheit

Erschienen im Hallo, September 2017. Autor: H. Schaaf 

„Freiheit gibt es nicht umsonst“ – das ist Leitgedanke dieses kleinen, leidenschaftlichen Büchleins für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Demokratie. So hat eine liberale Gesellschaft nicht nur äußere Feinde – wie den Terror und (zunehmend) autoritäre Regime im Umfeld.- Es kann ihr der Kitt ausgehen, der das Innere zusammenhält. Scheinbar paradox sieht Carlo Strenger eine der Grundlagen in dem Glück, dass wir seit nun 70 Jahre nicht die direkte Erfahrung von Krieg und Diktatur machen mussten. Gleichzeitig wurde – auch deswegen – ein wirtschaftlicher und technologischer Fortschritt möglich, wie es ihn zuvor nie gegeben hatte. So sind drei Generationen herangewachsen, für die eine demokratische Ordnung mit einem hohen Maß an gesellschaftlicher Freiheit und (weitgehendem) persönlichen Wohlbefinden als etwas Selbstverständliches erscheinen kann. Daraus habe sich über weite Strecken eine „Berechtigungsmentalität für Selbstentfaltung“ entwickelt. Wem dies verwehrt wird, der wende sich mit der Forderung nach einem besseren Leben an die Eltern oder „die Gesellschaft“, den Staat oder „die Politiker“. Sie oder – auf jeden Fall – „andere“ – sollen – dafür sorgen, dass „dennoch“ weiter auftauchende Probleme gelöst werden.
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Rezension – Die kleinen großen Dinge

Erschienen im Hallo am 26.07.2017, Autor: H. Schaaf

Manchmal sind es die kleinsten Dinge, die die Welt zusammenhalten. In diesem Falle sind die Bienen die Heldinnen des Romans, der uns mit drei Geschichten in drei Zeitepochen führt. Während sich dabei der Biologe und Samenhändler William im England des Jahres 1852 den Kopf zerbricht, wie er die Arbeit der Bienen in einen Bienenstock locken und für sich nutzbar machen könnte, verschwinden die Bienen im Jahr 2007 in Ohio (USA). In China – im Roman im Jahr 2098 – bestäuben Arbeiterinnen Bäume von Hand, denn Bienen gibt es schon lange nicht mehr.
Alle drei Geschichten sind in diesem Roman verwoben über die persönlichen Hoffnungen und Nöte dreier sehr unterschiedlicher Menschen  und dem unsichtbaren Band zwischen der Geschichte der Menschen und der Geschichte der Bienen. Jede Geschichte für sich könnte dabei allein stehen, wohl deswegen sind es auch über 500 Seiten geworden. Umso mehr überrascht, wie es der Autorin gelingt, alle drei am Ende doch zusammenzuführen.

Im Hier und Jetzt scheinen Bienen eher in den Städten zu überleben als in den mit Glyphosat überspritzten landwirtschaftlich genutzten Flächen. In den USA werden Bienen in Lastwagen zum Bestäuben verfrachtet und in China tatsächlich schon Bäume per Hand bestäubt.
So schenkt uns Maja Lunde nicht nur einen ausdrucksstark geschriebenen Roman, sondern stößt uns auch auf eine der drängendsten Fragen unserer Zeit: Wie gehen wir mit unseren natürlichen Lebensgrundlagen und den darauf lebenden, aber auch zu unserem Leben notwendigen Geschöpfen um? Was können wir dazu beitragen, dass diese Erde auch „enkeltauglich“ bleibt.

Maya Lunde

Die Geschichte der Bienen

btb Verlag, 2017 512 Seiten

ISBN-10: 3442756847

Rezension – John Williams: Augustus

Erschienen im Hallo am 31.05.2017, Autor: A. Rüter 

Mit dem posthum veröffentlichten Roman „Stoner“ verschaffte sich der amerikanische Literat John Williams (1922-1994) in Deutschland (2013) eine große Leserschaft. Sein letzter Roman „Augustus“ (1972) wurde in den USA mit dem National Book Award ausgezeichnet. Erst jetzt erschien dieser in einer deutschen Erstausgabe. Beide Werke gelten hierzulande als Bestseller.
Mit seinem Briefroman „Augustus“  taucht der Autor tief in die römische Geschichte ein.
Auf der Basis der historischen Quellen entwirft Williams ein einzigartiges, lebendiges Sittengemälde der römischen Gesellschaft, die nach Caesars Ermordung kurz vor einem Bürgerkrieg steht. Hierfür verwendet er fiktive Briefe und  Tagebuchaufzeichnungen, Memoiren sowie Konsulatsbefehle. Vorherrschende Themen der persönlichen Aufzeichnungen sind Animositäten, Neid und Missgunst, wie auch Einflüsterungen, Intrigen und Bespitzelungen. Allesamt entspringen sie der Imagination des Autors. In diesen fiktiven Quellen kommen so  prominente Akteure wie Marcus Antonius, Cleopatra von Ägypten, der Historienschreiber Titus Livius wie auch die Dichter Horaz und Vergil und sein alter Freund Maecenas, der Gönner der Dichter, zu Wort. 

Im Focus des Romans steht Gaius Octavius Caesar (63.v. Chr.-14 n. Chr.): sein Aufstieg als Caesars Adoptivsohn und Nachfolger, seine Zeit als unumschränkter Staatslenker nach dem Sieg in der Seeschlacht bei Actium über seinen Rivalen Marcus Antonius, seine gesetzgeberische Tätigkeit mit seinem Sittenkodex und sein selbstbestimmter Rückzug ins Privatleben. Die Ehrenbezeichnung  „Augustus“ wurde ihm 27 n. Chr vom Senat als gottähnliche Verehrung in Anerkennung des von ihm nach langjährigem Bürgerkrieg errichteten Friedens im römischen Reich verliehen. Williams‘ Hauptinteresse gilt dabei der menschlichen Seite hinter dem Politiker und Militärherrscher.

Die Ambivalenz einerseits von Machtbewusstsein, strategischer Berechenbarkeit, Unnahbarkeit, Askese und andererseits einem Menschen, der Milde und väterliche Liebe walten lässt, werden von Williams auf einzigartige Weise herausgebildet. So wird seine leibliche Tochter Julia, hochgebildet, von ihm wertschätzend als sein „zweites Rom“ genannt, aus Gründen der Staatsräson mehrfach mit Männern seiner Entourage verheiratet. Der Ehe mit ihrem letzten Mann Tiberius jedoch, von Augustus später als sein Nachfolger adoptiert, entflieht sie in ein ausschweifendes Leben. Von ihrem Vater wird sie dafür auf die einsame Insel Pandateria (heute Ventotene) verbannt. Den Schlussteil des Buches bildet ein langer Brief Augustus‘ an seinen Freund und Biographen Nikolaus von Damaskus. In diesem entwirft er in immer neuen Ansätzen Selbstreflexionen über seine politischen Ämter und die damit einhergehenden Wechselwirkungen mit seiner Person und seinem Wesen. Die Schwächen seiner Mitmenschen wie seine eigenen erkannt zu haben, sei für ihn eine Quelle seiner Macht gewesen. Rätselhaft seien für ihn aber letztlich alle Menschen gewesen, sogar sein eigenes Leben.

Buchtipp – Geschichte des Westens

erschienen in der WLZ im Dezember 2015

Der emeritierte Berliner Geschichtsprofessor Heinrich August Winkler, hochgeschätzter Grandseigneur der deutschen Historikerzunft, beendete in diesem Jahr seine vierbändige, voluminöse Werkreihe „Geschichte des Westens“ mit dem Abschlussband „Die Zeit der Gegenwart“. In diesem letzten Band untersucht er die Jahre von 1991 bis 2014: die Zeitspanne von der Auflösung des Ost-West- Gegensatzes bis zur Jetztzeit, „dem Ende aller Sicherheit“. Die Geschichte der westlichen Welt, in der er die großen historischen Linien der Menschheitsentwicklung schlüssig herausarbeitet und mit verblüffendem Hintergrund- und Detailwissen die Ereignisse einordnet und teilweise neu deutet, ist mit großem Erkenntnisgewinn zu lesen.

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Buchtipp – Im Frühling sterben

erschienen in der WLZ am 14.10.2015

Starke Bilder in poetischer Wortwahl – das ist es, was man bei Ralf Rothmann schätzt. In seinem neuesten Werk „Im Frühling sterben“ übertrifft er sich selbst, wenn er voller Poesie und dennoch unnachahmlich eindringlich von den letzten Wochen des 2. Weltkriegs und dem beginnenden, fragilen Frieden berichtet.

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Buchtipp – Sex macht Spaß

erschienen in der WLZ am 08.09.2015

Goethe ist in allen Dingen des Lebens eine gute Adresse, auch zum vorliegenden Buch mag man einige seiner Gedichtzeilen assoziieren, nämlich aus „Willkommen und Abschied“ einer Nacht bei der geliebten Friederike in Sesenheim. Beim Willkommen heißt es da:„Ein rosenfarbenes Frühlingswetter umgab das liebliche Gesicht,…“ und beim Abschied: „In deinen Küssen welche Wonne! In deinen Augen welcher Schmerz!“
Dass die menschlichen Augen als Spiegel der Seele erkannt werden wegen des Weißen im Auge und der bewegten Gesichtsmuskulatur, der Mimik ums Auge herum, weiß nicht nur Goethe, sondern bestätigen auch Evolutionsbiologen wie die Autoren des vorliegenden Buches. So wurden und werden junge Frauen mit Kulleraugen sexuell bevorzugt, wie auch Männer mit ausdrucksvoller Augenpartie, heisst es hier.

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