Buchtipp – Ein ganzes Leben

erschienen in der WLZ am 13.08.2015

Was macht es letztlich aus, das Leben? Wo führt es hin und was passiert in der Zwischenzeit? Und was genau ist das Essenzielle bei dem, was wir „das Leben“ nennen?
Dieser Frage widmet sich Robert Seethaler in diesem Roman der leisen Zwischentöne, in dem er die Geschichte des Tagelöhners, Handlangers und Seilbahnarbeiters Andreas Egger erzählt. Egger wird in einem Bergdorf irgendwann um die Jahrhundertwende herum geboren und sein Leben ist vor allem eins: hart. In der Kindheit geprügelt, bis ihm die Knochen brechen, muss er sein Leben mit einem hinkenden Bein meistern, was Egger aber nicht von harter Arbeit abhält.

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Buchtipp – Frühling in Jerusalem

erschienen in der WLZ am 14.07.2015

Wir kennen Wolfgang Büscher durch seine langen Wanderungen von Berlin nach Moskau (Berlin – Moskau) oder von Nord nach Süd durch die Vereinigten Staaten von Amerika (Hartland), niedergelegt in überaus erfolgreichen Büchern, für die er bedeutende Literaturpreise erhielt. Als der Autor im November 2013 in Bad Arolsen aus seinem Buch « Hartland » las, deutete er ein kommendes Projekt an im darauffolgenden Frühling.
Das Buch dieser erneuten Erkundung liegt nun vor: Ein Frühling in Jerusalem.

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Buchtipp – Im Café der verlorenen Jugend

erschienen in der WLZ am 11.06.2015

Aus der Erinnerungsperspektive von vier Erzählern zeichnet Patrick Modiano in seinem Roman Im Café der verlorenen Jugend das Bild von Menschen im Paris der 1960-er Jahre, die Zuflucht suchen und nicht finden, die unter falschem Namen auftreten und gern von sich selbst wüssten, wer sie eigentlich sind. Wohl fühlen sie sich dort, wo niemand nachfragt, wo man der sein kann, der man zu sein vorgibt. Das ist im Boheme-Café Le Condé, Chartier Latin, der Fall. Hier trifft sich die verlorene Jugend, junge Menschen mit geringer Zukunftsperspektive. Ebenso regelmäßig kommen Künstler und Schriftsteller, manche davon reale, nicht fiktive Gestalten. Dazu gesellen sich zwielichtige Menschen mittleren Alters mit Vergangenheit wie der Privatdetektiv Pierre Caisley, vom wohlhabenden Makler Pierre Choureau beauftragt, dessen verschwundene Ehefrau Jacqueline, im Café Louki genannt, ausfindig zu machen.

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Buchtipp – Treffen im Telgte

erschienen in der WLZ am 15.05.2015

Mit Günter Grass haben wir einen der bedeutendsten Nachkriegsdichter und –denker verloren – vielleicht sogar den bedeutendsten. Sperrig, manchmal unbequem, oft streitbar, aber immer authentisch. Auf ein unglaublich reiches literarisches Erbe dürfen wir nun zurückgreifen, die großen Klassiker wie „Die Blechtrommel“ oder „Der Butt“, aber auch auf eine relativ kleine Erzählung, die in unscheinbarem Gewand daherkommen mag, aber dennoch so viel in sich trägt: „Das Treffen in Telgte.“ Gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges treffen sich die damaligen zeitgenössischen Autoren, teils gemeinsam mit ihren Verlegern, im westfälischen Telgte, um über die Literatur zu disputieren, um sich gegenseitig aus ihren jeweiligen Schriften vorzutragen und um das zu führen, was man heute wohl Werkstattgespräche nennen würde. Ganz in der Tradition der Barockdichtung fühlt man sich dabei den bestimmten Regeln und Paradigmen der Literatur verpflichtet und diskutiert angeregt über die Poesieregeln von Opitz, Gryphius, Dach und der namhaftesten Dichter und Denker des Barock. Dabei wird gegessen, getrunken und auch anderen Freuden sind die Herren Dichter und Denker nicht abgeneigt.

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Buchtipp – Regentonnenvariationen

erschienen in der WLZ am 21.04.2015

Zum ersten Mal in seiner Geschichte wurde der Preis der Leipziger Buchmesse an einen Lyriker verliehen und damit wurde ein scheinbar aus der Mode gekommenes Genre ausgezeichnet. Ist die Poesie zurück als literarisches Schwergewicht?
Die Verleihung des Preises an Jan Wagner für seinen Lyrikband « Regentonnenvariationen » ist jedoch weniger eine Sensation, als man zunächst vermuten mag. Jan Wagner ist seit vielen Jahren ein bekannter und erfolgreicher Vertreter der Lyrik.
Der 1971 in Hamburg geborene Dichter hat seit seinen ersten Veröffentlichungen ab 1999 Jahr für Jahr Preise und Stipendien erhalten, darunter den Hölderlin-Preis, den Kranichsteiner Literatur-Preis und die Stipendien für die Villa Massimo und die Villa Aurora – insgesamt 30 an der Zahl. Er hat seine Stimme nachdrücklich zu Gehör gebracht, so dass die Verleihung des diesjährigen Buchpreises an ihn niemanden in der Literatur-Welt vollkommen überrraschte. Dennoch: es ist das erst Mal, dass die Jury für einen Lyriker entschied. Und das ist dann doch etwas Besonderes, ein kleines Erdbeben! Lyrik, so eine Literaturkritikerin, sei im Grunde in der heutigen Welt der verkürzten SMS-Mitteilungen eine sehr zeitgemässe, weil kondensierte Form der Literatur.

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Buchtipp – Der Fluch der bösen Tat

erschienen in der WLZ am 10.03.2015

Peter Scholl-Latour – der Name hat Klang, den Klang von Weitgereistheit und einer langjährigen eindrucksvollen journalistischen Arbeit an den Brennpunkten des Weltgeschehens. In den 60er- und 70er-Jahren des 20.Jahrhunderts verbindet man den Namen Scholl-Latour mit Indochina und Vietnam („Der Tod im Reisfeld“,1979 – sein Bucherfolg aus dieser Zeit), mit Algerien und dem asiatischen Raum des Islam, von wo der Journalist und Publizist im schwarz-weißen Fernsehen seine Reportagen vortrug. Peter Scholl-Latour- der Name klingt auch nach nuschelnder, grantelnder, aber unübertroffen kenntnisreicher Auskunft und weltpolitischer Analyse. Auch in den gerade zurückliegenden Jahren des jungen 21.Jahrhunderts reiste Scholl-Latour in die aktuellen Krisenherde der Instabilität vom Maghreb bis zur Levante, nach Bagdad und Teheran.

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Buchtipp – Unterwerfung

erschienen in der WLZ am 10.02.2015

Seit seinem Roman « Elementarteilchen », der in Deutschland sogar verfilmt wurde, gilt Michel Houellebecq als das enfant terrible der französischen Gegenwartsliteratur. Anfang Januar erschien sein neuer Roman  »Soumission », in deutscher Übersetzung « Unterwerfung », der in Frankreich und Deutschland mit ganz unterschiedlichen Reaktionen aufgenommen wurde.Der Roman entwickelt ein Zukunfts-Panorama für Frankreich im Jahre 2022, also in nicht allzuweiter Ferne, aus dem Blickwinkel der Hauptfigur, dem Pariser Literaturprofessor François, dem autobiographische Züge nachgesagt werden. Dieser lehrt an der Pariser Universität Sorbonne III Literaturwissenschaft des 19. Jahrhunderts, sein Spezialgebiet seit Studienbeginn, und hat sich dort mit erreichter Universitätskarriere und wechselnden Liebschaften mit Studentinnen bequem – vielleicht zu bequem ? – eingerichtet. Die Karrierediskussionen seiner Kollegen und die sich abzeichenden Veränderungen innerhalb der Universität interessieren ihn wenig, auch nicht Gerüchte über Angriffe auf Dozenten an anderen Universitäten, ausgehend von einer Bewegung junger Salafisten. Immerhin fällt ihm auf, dass der Verband jüdischer Studenten nicht mehr auf dem Campus zu sehen ist, stattdessen aber der Jugendverband der Bruderschaft der Muslime überall vertreten. Eines Tages sitzen zum ersten Mal zwei Studentinnen in Burka in seiner Vorlesung, deren irgendwie bedrohliche Begleitung auf dem Flur patroulliert. Warum war er beunruhigt ? fragt er sich.

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Patrick Modiano: Im Cafe der verlorenen Jugend

von Elke Riemer-Buddecke

Edition Gallimard, Paris 2007/ Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2012/15

In diesem Leben, das uns manchmal vorkommt wie eine große Brachfläche ohne Wegweiser, inmitten all dieser Fluchtlinien und verlorenen Horizonte, würde man gern Bezugspunkte finden, eine Art Kataster anlegen, um nicht länger das Gefühl zu haben, dass man sich ziellos treiben lässt. Also knüpft man Beziehungen, versucht, ungewisse Zufallsbekanntschaften zu festigen (S. 51).

Melancholisch wie diese Zeilen, so klassisch einfach in der Diktion wie sonst selten in moderner Literatur ist Patrick Modianos Roman Im Café der verlorenen Jugend, dass das Lesen zur Droge werden kann. Er zeichnet, getränkt durch den Grauschleier der Erinnerung, das Bild von Menschen im Paris der 1960-er Jahre, die überall Zuflucht suchen und sie nirgendwo finden, die gern von sich selbst wüssten, wer sie eigentlich sind. Sie lieben es, unter falschem Namen, falscher Adresse und mit falscher Biografie aufzutreten, damit ihre traurige Existenz nicht erkannt wird, niemand ahnt, in welch schäbigen Hotels oder Zimmern sie leben. Wenn sie sich irgendwo wohl fühlen, dann deswegen, weil niemand nachfragt, weil man der sein kann, der man zu sein vorgibt.

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Buchtipp – Zwei Herren am Strand

erschienen in der WLZ am 13.01.2015

Winston Churchill ist uns bekannt als der Premierminister, der England im 2.Weltkrieg gegen das nationalsozialistische Deutschland geführt hat. Aber Churchill war nicht nur Politiker aus dem englischen Hochadel; er war ebenso erfolgreicher Journalist und Schriftsteller und erhielt 1953 den Nobelpreis für Literatur. Dass er zu seinem Bekanntenkreis den englischen Jahr-hundertschauspieler Charlie Chaplin zählte, ist bekannt.

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Buchtipp – Patrick Modiano

erschienen in der WLZ am 09.12.2014

Das Stockholmer Auswahlkommittee für den Literatur-Nobelpreis hat auch dieses Jahr wieder das Publikum und ebenso den Preisträger überrascht. Der französische Autor Patrick Modiano, 1945 bei Paris geboren, gehörte keineswegs zum engeren Kreis der « Verdächtigen ». Modiano ist in Frankreich ein bekannter und vielgelesener Autor; für seine meist schmalen Romane, rund 20 an der Zahl, hat er zahlreiche Auszeichnungen erhalten, darunter den Prix Goncourt (1978), den Romanpreis der Académie Française und 2012 den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur.

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